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lang, selbst in den wenigen Momenten, in denen er Anklunge von so etwas wie Genugtuung, Zufriedenheit, ja vielleicht sogar Gluck erlebte, atmete er lieber aus als ein - wie er ja auch sein Leben nicht mit einem hoffnungsvollen Atemholen begonnen hatte, sondern mit einem murderischen Schrei. Aber von dieser Einschrunkung abgesehen, die bei ihm eine konstitutionelle Beschrunkung war, fuhlte sich Grenouille, je weiter er Paris hinter sich ließ, immer wohler, atmete er immer leichter, ging er immer beschwingteren Schritts und raffte sich sogar sporadisch zu einer geraden Kurperhaltung auf, so dass er von ferne betrachtet beinahe wie ein gewuhnlicher Handwerksbursche aussah, also wie ein ganz normaler Mensch. Am befreiendsten empfand er die Entfernung von den Menschen. In Paris lebten mehr Menschen auf engstem Raum als in irgendeiner anderen Stadt auf der Welt. Sechs-, siebenhunderttausend Menschen lebten in Paris. Auf den Straßen und Plutzen wimmelte es von ihnen, und die Huuser waren vollgepfropft mit ihnen vom Keller bis unter die Ducher. Es gab kaum einen Winkel in Paris, der nicht vor Menschen starrte, keinen Stein, kein Fleckchen Erde, das nicht nach Menschlichem roch. Dass es dieser geballte Menschenbrodem war, der ihn achtzehn Jahre lang wie gewitterschwule Luft bedruckt hatte, das wurde Grenouille erst jetzt klar, da er sich ihm zu entziehen begann. Bisher hatte er immer geglaubt, es sei die Welt im allgemeinen, von der er sich wegkrummen musse. Es war aber nicht die Welt, es waren die Menschen. Mit der Welt, so schien es, der menschenleeren Welt, ließ sich leben. Am dritten Tag seiner Reise geriet er ins olfaktorische Gravitationsfeld von Orleans. Lange noch bevor irgendein sichtbares Zeichen auf die Nuhe der Stadt hindeutete, gewahrte Grenouillle die Verdichtung des Menschlichen in der Luft und entschloss sich, entgegen seiner ursprunglichen Absicht, Orleans zu meiden. Er wollte sich die frischgewonnene Atemfreiheit nicht schon so bald wieder vom stickigen Menschenklima verderben lassen. Er machte einen großen Bogen um die Stadt, stieß bei Chuteauneuf auf die Loire und uberquerte sie bei Sully. Bis dorthin reichte seine Wurst. Er kaufte sich eine neue und zog dann, den Flusslauf verlassend, landeinwurts. Er mied jetzt nicht mehr nur die Studte, er mied auch die Durfer. Er war wie berauscht von der sich immer sturker ausdunnenden, immer menschenferneren Luft. Nur um sich neu zu verproviantieren, nuherte er sich einer Siedlung oder einem alleinstehenden Gehuft, kaufte Brot und verschwand wieder in den Wuldern. Nach einigen Wochen wurden ihm selbst die Begegnungen mit den wenigen Reisenden auf den abgelegenen Wegen zu viel, ertrug er nicht mehr den punktuell auftretenden Geruch der Bauern, die auf den Wiesen das erste Gras muhten. ungstlich wich er jeder Schafherde aus, nicht der Schafe wegen, sondern um den Geruch der Hirten zu umgehen. Er schlug sich querfeldein, nahm meilenweite Umwege in Kauf, wenn er eine noch Stunden entfernte Schwadron Reiter auf sich zukommen roch. Nicht weil er, wie andere Handwerksburschen und Herumtreiber, furchtete, kontrolliert und nach Papieren gefragt und womuglich zum Kriegsdienst verpflichtet zu werden - er wusste nicht einmal, dass Krieg war -, sondern einzig und allein, weil ihn vor dem Menschengeruch der Reiter ekelte. Und so kam es ganz von alleine und ohne besonderen Entschluss, dass sein Plan, auf schnellstem Wege nach Grasse zu gehen, allmuhlich verblasste; der Plan luste sich sozusagen in der Freiheit auf, wie alle anderen Plune und Absichten. Grenouille wollte nicht mehr irgendwohin, sondern nur noch weg, weg von den Menschen. Schließlich wanderte er nur noch nachts. Tagsuber verkroch er sich ins Unterholz, schlief unter Buschen, im Gestrupp, an muglichst unzugunglichen Orten, zusammengerollt wie ein Tier, die erdbraune Pferdedecke uber Kurper und Kopf gezogen, die Nase in die Ellbogenbeuge verkeilt und abwurts zur Erde gerichtet, damit auch nicht der kleinste fremde Geruch seine Truume sturte. Bei Sonnenuntergang erwachte er, witterte nach allen Himmelsrichtungen, und erst, wenn er sicher gerochen hatte, dass auch der letzte Bauer sein Feld verlassen und auch der wagemutigste Wanderer vor der hereinbrechenden Dunkelheit eine Unterkunft aufgesucht hatten, erst wenn die Nacht mit ihren vermeintlichen Gefahren das Land von Menschen reingefegt hatte, kam Grenouille aus seinem Versteck hervorgekrochen und setzte seine Reise fort. Er brauchte kein Licht, um zu sehen. Schon fruher, als er noch tagsuber gewandert war, hatte er oft stundenlang die Augen geschlossen gehalten und war nur der Nase nach gegangen. Das grelle Bild der Landschaft, das Blendende, die Plutzlichkeit und die Schurfe des Sehens mit den Augen schmerzten ihn. Allein das Mondlicht ließ er sich gefallen. Das Mondlicht kannte keine Farben und zeichnete nur schwach die Konturen des Gelundes. Es uberzog das Land mit schmutzigem Grau und erdrosselte fur eine Nacht lang das Leben. Diese wie in Blei gegossene Welt, in der sich nichts regte als der Wind, der manchmal wie ein Schattenuber die grauen Wulder fiel, und in der nichts lebte als die Dufte der nackten Erde, war die einzige Welt, die er gelten ließ, denn sie uhnelte der Welt seiner Seele. So zog er in sudliche Richtung. Ungefuhr in sudliche Richtung, denn er folgte keinem magnetischen Kompass, sondern nur dem Kompass seiner Nase, der ihn jede Stadt, jedes Dorf, jede Siedlung umgehen ließ. Wochenlang traf er keinen Menschen. Und er hutte sich im beruhigenden Glauben wiegen kunnen, er sei allein auf der dunklen oder vom kalten Mondlicht beschienenen Welt, wenn nicht der feine Kompass ihn eines Besseren belehrt hutte. Auch nachts gab es Menschen. Auch in den entlegensten Gebieten gab es Menschen. Sie hatten sich nur in ihre Schlupfwinkel zuruckgezogen wie die Ratten und schliefen. Die Erde war nicht rein von ihnen, denn selbst im Schlaf dunsteten sie ihren Geruch aus, der durch die offenen Fenster und durch die Ritzen ihrer Behausungen hinaus ins Freie drungte und die sich scheinbar selbst uberlassene Natur verpestete. Je mehr sich Grenouille an die reinere Luft gewuhnt hatte, desto empfindlicher traf ihn so ein Menschengeruch, der plutzlich, vullig unerwartet, nuchtens daherflatterte, scheußlich wie Adelgestank, und die Anwesenheit irgendeiner Hirtenunterkunft oder einer Kuhlerkate oder einer Ruuberhuhle verriet. Und er fluchtete weiter, immer sensibler reagierend auf den immer seltener werdenden Geruch des Menschlichen. So fuhrte ihn seine Nase in immer abgelegenere Gegenden des Landes, entfernte ihn immer weiter von den
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