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nicht hassen. Übrigens ist er ihnen gegenüber von ge- suchter Höflichkeit. Er scheint sich darin zu gefallen, seine wunderlichen Formen vergessen zu machen, über die Abneigungen einen Sieg davonzutragen, der seiner Eitelkeit, seiner Eigenliebe oder seinem Stolze schmei- chelt. »Warum sind Sie eigentlich so?« fragte ihn die Marquise von Vandenesse eines Tages. »Sind die Perlen nicht in rauhen Schalen?« entgegnete er pomphaft. 70 Einem andern, der die gleiche Frage an ihn richtete, gab er zur Antwort: »Wenn ich jedermann gefiele, wie könnte ich da einer unter allen, einer Erwählten, gefallen?« Raoul Nathan zeigt in seinem Geistesleben die gleiche Unordnung, die er zur Schau trägt. Sein Aushängeschild trügt nicht. Sein Talent gleicht dem der armen Mädchen für alles, die in Bürgerhäusern dienen. Er war zunächst Kritiker, und zwar ein großer Kritiker, aber er fand, daß er sich mit diesem Handwerk selbst im Lichte stand. Sei- ne Aufsätze wären so viel wert wie Bücher, sagte er. Die Theatereinkünfte hatten es ihm angetan. Da er aber zu ruhiger, stetiger Arbeit unfähig war, wie die Bühnenfä- higkeit eines Werkes sie erheischt, so hatte er sich mit einem Komödienschreiber du Bruel zusammentun müs- sen, der seine Ideen ausführte und sie in einträgliche, geistvolle, kleine Stücke umsetzte, die stets Rollen für Schauspieler und Schauspielerinnen enthielten. So hatten sie gemeinsam Florine aufgebracht, eine Schauspielerin für das Rollenfach. Aber Nathan fühlte sich durch dies Kompaniegeschäft, das ihn zum siamesischen Zwilling machte, gedemütigt und versuchte es nun allein im Thé- âtre français mit einem großen Stücke, das mit allen krie- gerischen Ehren, unter den Salven niederschmetternder Artikel, durchfiel. Schon in seiner Jugend hatte er es mit dem großen, edlen französischen Theater versucht und ein prachtvolles, romantisches Stück im Stil von »Pinto« geschrieben, zu einer Zeit, wo der Klassizismus noch unumschränkt herrschte. Das Odeontheater war infolge- dessen drei Abende lang der Schauplatz so wilder Tu- multe, daß das Stück verboten wurde. In den Augen 71 vieler galt dies zweite Drama ebenso wie das erste für ein Meisterwerk und brachte ihm mehr Ruhm, als all die einträglichen Stücke, die er mit anderen zusammen ver- faßt hatte, aber nur in der wenig beachteten, Welt der Kenner und der Leute von Geschmack. »Noch ein sol- cher Durchfall,« sagte Emil Blondet zu ihm, »und du bist unsterblich.« Anstatt aber auf dieser schwierigen Bahn fortzuschreiten, war Nathan notgedrungen in die Vaudevillestücke des Rokoko mit Puder und Schönheitspflästerchen zurückge- sunken, in das Kostümstück und den szenischen Neu- druck erfolgreicher Bücher. Trotzdem galt er für einen großen Geist, der sein letztes Wort noch nicht gesprochen hatte. Außerdem hatte er sich an die hohe Literatur ge- wagt und drei Romane veröffentlicht, ganz abgesehen von denen, die er unter der Presse hielt, wie die Fische im Fischbehälter. Das eine dieser drei Bücher und zwar das erste, hatte, wie bei manchen Schriftstellern, die es nur zu einem ersten Werke bringen, den glänzendsten Erfolg errungen. Dies Werk, das damals unklug an die erste Stelle gerückt wurde, dies Artistenwerk ließ er bei jeder Gelegenheit als schönstes Buch des Zeitalters, als einzi- gen Roman des Jahrhunderts bezeichnen. Trotzdem klag- te er viel über die hohen Ansprüche der Kunst. Er gehörte zu denen, die am meisten dazu beitrugen, alle Kunstwer- ke, Gemälde, Statuen, Bücher und Bauwerke allein unter dem Gesichtspunkt der Kunst zu werten. Begonnen hatte er mit einem Gedichtband, der ihm einen Platz in der Plejade der zeitgenössischen Dichter sicherte; darin be- fand sich ein verschwommenes Gedicht, das reichlich bewundert wurde. Da er bei seinem Mangel an Vermö- gen weiter schreiben mußte, ging er vom Theater zur 72 Presse und von der Presse zum Theater über, verzettelte und verausgabte sich und glaubte doch immer noch an seinen Stern. Sein Ruhm war also nicht unveröffentlicht, wie bei mehreren in den letzten Zügen liegenden Be- rühmtheiten, die sich durch die Titel künftiger Werke hochhalten, obwohl diese Werke dann nicht soviel Auf- lagen erleben, als Verhandlungen ihretwegen geführt werden mußten. Nathan glich einem Genie. Wäre er zum Schafott ge- schritten, wie er es manchmal wünschte, er hätte sich wie André Chénier an die Stirn schlagen können. Politischer Ehrgeiz ergriff ihn, als er ein Dutzend Schriftsteller, Pro- fessoren, Metaphysiker und Historiker zur Macht kom- men sah, Leute, die sich während der Unruhen von 1830 bis 1833 in der Staatsmaschine einnisteten. Nun bedauer- te er, daß er statt literarischer Artikel nicht politische geschrieben hatte. Er gehörte zu jenen Geistern, die auf alles eifersüchtig, zu allem fähig sind, denen man alle Erfolge wegnimmt, die tausend Brennpunkte berühren, ohne sich auf einen fest einzustellen, und die stets den Willen des Nachbars entkräften. Zu jener Zeit ging er vom Saint-Simonismus zum Republikanismus über, um vielleicht zum Ministerialismus zurückzukehren. In allen Ecken spähte er nach einem Knochen, an dem er nagen wollte, und suchte nach einem sicheren Orte, von wo aus er, vor Schlägen sicher, bellen und bedrohlich erscheinen konnte. Aber zu seiner Schande bemerkte er, daß ihn der berühmte de Marsay, das damalige Haupt der Regierung, nicht ernst nahm. De Marsay hatte keinerlei Achtung vor Schriftstellern, bei denen er das vermißte, was Richelieu den Geist der Folgerichtigkeit nannte. Zudem hätte jedes Ministerium mit der dauernden Unordnung in Raouls 73 Geschäften rechnen müssen. Früher oder später mußte die Not ihn zwingen, Bedingungen anzunehmen, statt sie zu diktieren. Raouls wahrer, aber sorgfältig verborgener Charakter
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