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sie einen Wagen hinter dem ihrigen hatte herfahren hö-
ren, der ihr von Amboise aus gefolgt war, aus dem Wa-
genfenster gesehen, um sich zu überzeugen, wer ihre
Reisegefährten seien. Beim Scheine des Mondes sah sie,
drei Schritte von sich entfernt, Arthur stehen, der die Au-
gen auf ihren Wagen geheftet hielt. Ihre Blicke begegne-
ten sich. Die Comtesse warf sich mit einer heftigen Be-
wegung, aber mit einem Gefühl von Angst, das sie zittern
ließ, in ihren Wagen zurück. Wie die meisten jungen
Frauen, die wahrhaft unschuldig und ohne Erfahrung
sind, erblickte sie in der Liebe, die man einem Manne
unwillkürlich einflößt, eine Schuld. Sie empfand ein ins-
tinktives Entsetzen, das vielleicht von dem Bewußtsein
ihrer Schwäche gegenüber einem so kühnen Angriff her-
rührte. Die furchtbare Macht, eine Frau, deren Phantasie
von Natur erregbar ist und vor einer Verfolgung zurück-
schreckt, so mit seiner Person zu beschäftigen, ist eine
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der stärksten Waffen des Mannes. Die Comtesse besann
sich auf den Rat ihrer Tante und beschloß, während der
Reise im Innern ihres Wagens zu bleiben und ihn nie zu
verlassen. Aber an jeder Poststation hörte sie den Eng-
länder um die beiden Wagen herumgehen; unterwegs
klang dann wieder das lästige Geräusch seiner Kalesche
unaufhörlich in Julies Ohren. Die junge Frau dachte, daß,
wenn sie erst wieder bei ihrem Manne sein würde, dieser
die eigentümliche Verfolgung schon von ihr abwehren
würde.
»Wenn mich nun aber dieser junge Mann nicht liebte?«
Diese Betrachtung war die letzte, die sie machte. Als sie
in Orléans ankam, wurde ihre Postchaise von den Preu-
ßen angehalten, in den Hof einer Herberge gebracht und
von Soldaten bewacht. Widerstand war unmöglich. Die
Fremden erklärten den drei Reisenden durch gebieteri-
sche Zeichen, daß sie den Befehl erhalten hätten, nie-
mand aus dem Wagen herauszulassen. Die Comtesse
blieb weinend ungefähr zwei Stunden als Gefangene in
dem Wagen, der von den rauchenden, lachenden Solda-
ten, die sie ab und zu mit zudringlicher Neugier betrach-
teten, umringt war; doch schließlich hörte sie das Ge-
räusch von Pferdehufen und sah, wie sich die Soldaten
respektvoll vom Wagen entfernten. Gleich darauf um-
ringte eine Anzahl ausländischer höherer Offiziere, an
deren Spitze ein österreichischer General, die Kutsche.
»Madame«, sagte der General, »nehmen Sie unsere Ent-
schuldigung entgegen, es war ein Irrtum; Sie können un-
behelligt Ihre Reise fortsetzen, und hier ist ein Paß, der
Ihnen weitere Belästigungen ersparen wird ...«
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Die Comtesse nahm das Papier zitternd entgegen und
stammelte verlegene Worte. Sie erblickte neben dem
General in englischer Offiziersuniform Arthur, dem sie
offenbar ihre rasche Befreiung zu verdanken hatte. Er-
freut und traurig zugleich wandte sich der junge Englän-
der ab und wagte Julie nur verstohlen anzusehen. Mit
Hilfe des Passes langte Madame d'Aiglemont ohne weite-
re Zwischenfälle in Paris an. Sie traf dort ihren Mann
wieder, der von seinem Treueid gegen den Kaiser ent-
bunden und von dem Comte d'Artois, den sein Bruder
Ludwig XVIII. zum Generalstatthalter des Königreichs
ernannt hatte, aufs schmeichelhafteste empfangen wor-
den war. Victor erhielt einen hohen Rang in der Leibgar-
de und den Generalstitel. Inmitten der Feste, die die
Rückkehr der Bourbonen feierten, wurde die arme Julie
von einem tiefen Unglück, das auf ihr ganzes Leben
Einfluß haben sollte, betroffen: sie verlor die Marquise
de Listomère-Landon. Die alte Dame starb an der Freude
und an einer Gicht, die aufs Herz geschlagen war, als sie
in Tours den Duc d'Angoulême wiedersah. So war die
Frau, die kraft ihres Alters das Recht gehabt hätte, Victor
Vorstellungen zu machen, die einzige, die durch kluge
Ratschläge ein besseres Einvernehmen zwischen Mann
und Frau hätte herstellen können, dahingegangen, und
Julie fühlte die ganze Tragweite dieses Verlustes. Sie war
nun allein mit sich und ihrem Mann. Aber jung und zag-
haft, wie sie war, verlegte sie sich zunächst auf das Dul-
den, anstatt zu klagen. Die Vornehmheit ihres Charakters
verhinderte es ja eben, daß sie sich ihren Pflichten entzog
oder nach der Ursache ihrer Leiden forschte; denn sie zu
einem Ende zu bringen wäre eine zu delikate Sache ge-
wesen: Julie hätte gefürchtet, gegen ihre mädchenhafte
Schamhaftigkeit zu verstoßen.
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Ein Wort über die Geschicke des Monsieur d'Aiglemont
unter der Restauration.
Gibt es nicht viele Menschen, deren innere Nichtigkeit
den meisten, die sie kennen, verborgen bleibt? Ein hoher
Rang, eine illustre Abstammung, wichtige Ämter, ein
gewisser weltmännischer Schliff, eine betonte Zurückhal-
tung im Benehmen oder das Blendwerk des Reichtums
sind für sie Schutzmauern, die es verhindern, daß die
Kritik bis zu ihrer eigentlichen Existenz vordringt. Diese
Leute gleichen den Königen, deren wirkliche Beschaf-
fenheit, Charakter und Sitten niemals wirklich gekannt
und richtig beurteilt werden können, weil sie von zu weit
oder von zu nahe gesehen werden. Solche Personen von
trügerischem Verdienst fragen, anstatt zu reden, verste-
hen die Kunst, den andern eine Rolle zu geben, um nicht
selbst vor ihnen hervortreten zu müssen; dann ziehen sie
mit glücklicher Gewandtheit einen jeden am Draht seiner
Begierden und Interessen, treiben ihr Spiel mit Männern,
die ihnen in Wahrheit überlegen sind, machen Marionet-
ten aus ihnen und halten sie für klein, weil sie sie bis zu
sich herabgezogen haben. Ihre armselige, aber festste-
hende Denkweise erlangt dann einen Sieg über die Be-
weglichkeit der großen Gedanken. Um diese Hohlköpfe
zu beurteilen und ihren negativen Wert abzuschätzen,
muß der Beobachter einen mehr scharfsinnigen als über-
legenen Geist haben, mehr Geduld als Weite des Blickes,
mehr Schlauheit und Takt als Größe und Erhabenheit in
den Ideen entfalten. Jedoch so viel Geschicklichkeit diese
Usurpatoren auch anwenden, um ihre schwachen Seiten
zu verteidigen, so ist es ihnen sehr schwer, ihre Frauen,
ihre Mütter, ihre Kinder oder den Freund des Hauses zu
täuschen. Nur daß diese Personen ihnen das Geheimnis
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meistens bewahren, weil es gewissermaßen ihre gemein-
same Ehre angeht, ja sie helfen noch dabei, der Welt et-
was vorzumachen. Wenn nun, dank dieser häuslichen
Verschwörungen, viele dumme Tröpfe als bedeutende
Männer gelten, so gibt es anderseits eine Anzahl bedeu-
tender Männer, die für dumme Tröpfe gehalten werden,
so daß der Staat immer die gleiche Menge anscheinend
fähiger Köpfe hat. Man bedenke nun, was für eine Rolle
eine Frau von Geist und Gemüt neben einem Manne die-
ser Art spielen muß; wird man da nicht leidvoller Exis- [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

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